#11: Viennale

Wandzeitung #11, September 2012

Viennale

Diese Wandzeitung ist eine Kooperation zwischen Steinbrener/Dempf & Huber und der Viennale – anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Filmfestivals.

Laufbild trifft Standbild, Mobilität und Immobilität tauschen die Plätze. Traditionelle Rezeptionshaltungen werden außer Kraft gesetzt und die erkenntnistheoretischen Bedingungen der Kino- respektive Zeitungs-«Lektüre» auf den Prüfstand gestellt. Während der Betrachter im Kino in seinem Sessel verharrt und die Bilder sich vor seinem Auge bewegen, ist der Leser der Wandzeitung gezwungen, sich zu bewegen, wenn er den gesamten Inhalt der fix installierten Publikation in sich aufnehmen möchte. Eine peripathetische Dimension, eine Mobilisierung des Selbst, die eine völlig andere Inskription des Zeichenhaften in die inneren Faltungen der Persönlichkeit zur Folge hat und dem semantischen Overflow des Kinos die Nacktheit/Kargheit der Chiffre entgegengesetzt.

Die Texte der Wandzeitung stammen aus Eröffnungsreden der Viennale, die vorwiegend in den neunziger Jahren und frühen Nullerjahren von prominenten Schriftstellerinnen und Schriftstellern, Philosophen und Kulturtheoretikern gehalten wurden und sich um eine Klärung des Verhältnisses der jeweiligen Persönlichkeit zum Kino/zur Gesellschaft/zur Geschichte und zu aktuellen politischen Ereignissen bemühen: So wurde etwa Klaus Theweleit mitten in den Vorbereitungen zu seiner Rede vom 9/11-Schock touchiert und machte dieses politisch/mediale Ereignis zum Thema einer Auseinandersetzung mit der Wirkung des Bildes in einem visuell organisierten Environment.

Die Präsenz der Viennale im Rahmen der Wandzeitung ist auch als Hinweis auf eine verschwundene filmhistorische Dimension zu verstehen: Der zweite Bezirk galt in der Frühzeit des Kinos als Broadway von Wien. Damals gab es in der Leopoldstadt eine Vielzahl von Lichtspieltheatern mit Namen wie Weltbiograph, Nestroy, Helios, Rembrandt, Diana, Excelsior, Schweden, Adria. Davon ist nichts geblieben. Das ursprüngliche Zentralspäter Ufa-Ton-Kino, zuletzt Tabor wurde im Jahr 1996 geschlossen, um einem Lebensmittelhändler Platz zu machen. Erst das Fressen, dann die Kultur?

Die Wandzeitung möchte in dieser Edition nicht mehr, aber auch nicht weniger sein als ein Mahnmal, das an einen kulturellen Reichtum erinnert. An eine Zeit, als Kinos selbstverständliche Angebote waren. Möglichkeiten einer beiläufigen und zwanglosen kulturellen Erlebnisfahrt ohne Elite-Barrieren. Und gerade deshalb oft in der Lage, die Besucher reich zu beschenken. «Jedes Kino», schreibt Peter Handke, «verkörpert einen Ort inmitten der Ortlosigkeit».